Gregorianische Impressionen

Ein namhafter Konzertorganist, der sich besonders auf dem Gebiet des Jazz auf der Orgel einen Namen gemacht hat, spielte am Samstagabend in St. Lamberti eigene Werke. Hans-Martin Limberg verstand es, schon mit den energiegeladenen Skalen des virtuosen Anfangs seines „Gloria in excelsis Deo“ die Zuhörerinnen und Zuhörer in seinen Bann zu schlagen. Seine Tonsprache erinnert an die großen französischen Klangschöpfer wie Olivier Messiaen oder Louis Vierne, ohne jedoch diese bloß zu kopieren. Limberg gelingt es, sich in kongenialer Weise in die Klangwelt des französichen Impressionismus oder der Orgelmoderne hineinzuhören und sie in eine ganz eigene neue Klangsprache zu transformieren.

Auch in seiner „Paraphrase über „Veni Creator Spiritus“ bereichert er die französische Kompositionstechnik gekonnt mit Jazzanklängen, die sich sowohl in typischen rhythmischen Mustern als auch Harmonien oder Melodieverläufen zeigen. Wie ein Maler die Farben auf seiner Farbpalette mischt, so kombiniert er die Register der großen Konzertorgel in St. Lamberti zu immer neuen, interessanten Klangmischungen. Die besondere Stärke der Lambertiorgel sind ihre wundervollen zum Teil schon aus dem 19. Jahrhundert stammenden Flötenregister, die das Klangideal der deutschen Orgelromantik spiegeln. Gerade in Werken wie „Meditation und Toccata über Salve Regina“ nutzt Limberg dieses Potential in einer Weise, die die Zuhörer geradezu magisch in die Geheimnisse der marianischen Antiphon hineinzieht und das innerliche Mitfühlen des im Programmheft abgedruckten Textes einfordert. Erfrischend hierbei wie auch in dem einzigen freien Orgelwerk des Abends, „Suite concertante“ immer wieder die Lebendigkeit und Leichtigkeit der jazzinspirierten Rhythmik, die mit der spätromantisch-modernen Harmonik eine einmalige Verbindung eingeht. Limbergs musikalische Ausdruckspalette reicht von in sich ruhenden, meditativen Passagen bis hin zu eruptiven Ausbrüchen oder, wie am Ende der Salve Regina-Toccata strahlender Freude über die den Gläubigen versprochene Anschauung Jesu im Paradies in einem beinahe ekstatischem Tanz.

Eindrucksvoll und unmittelbares Hörerlebnis erfahrbar ist dabei die emotionale Tiefe seiner Musik, in der jeder Effekt gezielt eingesetzt wird und sich organisch in den gewaltigen Klangstrom einfügt. Dieser Klangstrom durchzog die Kirche und öffnete sich dem inneren Auge des aufgeschlossenen Hörers gleichsam zu einer großartigen Landschaft. Wie ein roter Faden durchzog die Kompositionen jeweils der immer gut wahrnehmbare cantus firmus der jeweiligen Choralmelodien, was den Verlauf der Kompositionen für die Hörer hervorragend strukturierte.

Hans-Martin Limberg schloss sein fabelhaftes Konzert mit der licht- und energiesprühenden Komposition „Lumen de lumine“ (Licht vom Licht), ein fulminanter Abschluss eines lange in Erinnerung bleibenden Konzertabends.

Thomas Lischik, Tageblatt, 4.11.2012