Atemberaubende Klänge aus spirituellen Quellen

Es ruft, es schreit, mit Sausen und Brausen türmen sich die Klangkaskaden der Riegner & Friedrich-Orgel im Kirchenschiff der Apostelkirche auf. Der musikalischen Umsetzung des Bibeltexts des 18. Psalms „Ich will dich rühmen, Herr meine Stärke“ widmet sich Hans-Martin Limberg mit ganzer Konzentration. Die Klänge der Orgelpfeifen schießen wie Pfeile ins Ohr, Schicht um Schicht bilden hoch emotionale Fragmente die Struktur der ungewohnten Tonkunst. Limberg zieht buchstäblich alle Register, mit Tempo und Drive endet er in Ewigkeit verheißendem strahlendem Dur.

Der Münsteraner Organist und Komponist Limberg ist seit Jahren auf dem Gebiet „Kirchenorgel und Jazz“ tätig. Neben seinen jazzorientierten Kompositionen fokussiert er sich nun auf seine spirituellen Quellen. „Maranata“ nennt Hans-Martin Limberg das Programm seiner neuen geistlichen Orgelmusik. Der aus dem Aramäischen stammende Begriff „Maranata“ steht für eine der ältesten christlichen Gebetsformeln, die soviel wie „Unser Herr, komm!“ bedeutet. Zu gregorianischen Gesängen, Gedichten und Texten von Max Feigenwinter, Angelus Silesius und Benediktiner Anselm Grün entwickelt Limberg eine ganz eigenen Stil aus Jazzelementen, Filmmusik, Clusterklängen, Dur-Moll-Tonalität, schlank figurierten Choralmelodien.

In seinem „Maranata-Mantra“ verwischen sich die Grenzen zwischen Orient und Okzident, wie ein Wellenreiter balanciert und stürmt er durch Fluten und Gezeiten. Collagenartig baut er „In Paradisum“ Sphäre um Sphäre aufeinander, analog zur Aussage des Textes „zum Paradies mögen dich die Engel begleiten“. Aber er wird nicht plakativ vordergründig dabei, er bewahrt Distanz, drängt dem Zuhörer keine Antworten auf mit seiner Musik. Limberg ist mutig genug, offene Schlüsse im Raum stehen zu lassen. Das „Rhythm of time“, dem rastlosen Hasten unserer Tage entlehnt, fegt mit unerbittlichen Triolen durchs Stundenglas. Es pulst und perlt von der Orgelempore und man fragt sich als Zuhörer, wie viele Finger dieser Mann eigentlich an jeder Hand hat, und offensichtlich auch noch mindestens ein drittes Bein fürs Pedal. Hämmernd läuft die Zeit und hat bei rasch aufblitzenden Walzerklängen auf einmal einen kurzen Moment ungeahnter Leichtigkeit bevor das Werk in einem furiosen Schlusscrescendo kulminiert.

Zu Anselm Grüns „Traumkathedrale“ durchweht eine silbrige, klare Melodie in eigenwilliger Registratur den Raum. Versöhnlich sind diese Reiseklänge für einen langen Weg. In einer Mischung aus vertrauten Orgelharmonien und Jam Session richtet Hans-Martin Limberg dann Quader auf Quader gewaltige Klangmengen aufeinander. Am Ende darf dann die Königin der Instrumente mit souveränem Groove und voller Wucht ganz eintauchen in den Lobpreis zur Ehre des Schöpfers „Creator Spiritus“. Die kleine, versprengte Zuhörerschar spendiert lange begeisterten Applaus. Wie viel Lockerheit und Witz Limberg obendrein noch aus dem Ärmel schütteln kann, verrät er nach diesem virtuosen Abend abschließend mit seiner Zugabe „Take me home“.

Zugegeben, ein Abend mit Orgelmusik hat nicht automatisch für jeden Musikliebhaber magnetische Wirkung. Aber das nur wenige Kulturinteressierte sich für das sicher ungewöhnliche Experiment von Veranstalter KMD Walter P. Erdt, der zeitgenössischen spirituellen Orgelmusik ein Forum zu geben, geöffnet haben, ist mehr als nur bedauerlich. Wer diesen Abend erleben konnte, wurde reich belohnt.

Weilheim, Apostelkirche, 24.1.2010