Meditation und Klangpracht

Eine ungewöhnliche und für Konzerte eher selten verwendete Glockenkombination bildete bereits den Auftakt für ein Orgelkonzert der besonderen Art, das am Sonntag in St. Viktor stattfand: Die vier großen Glocken läuteten, und deren Töne ergeben die Melodie des „Salve Regina“. Ungewöhnlich, aber völlig logisch für ein Konzert im Rosenkranzmonat Oktober, in dem gleich mehrere der alten gregorianischen Marien-Antiphone im Blickpunkt standen.

Hans-Martin Limberg, gebürtiger Münsteraner und seit Jahren überregional gefragter Konzert-Organist und -Pianist, präsentierte unter dem Titel „Gregorianische Impressionen“ ausschließlich Eigenkompositionen über unterschiedliche liturgische Gesänge. Den Anfang machte das „Gloria in excelsis Deo“, das in jeder feierlichen Sonntagsmesse gesungen wird, dann bildeten Stücke über den Pfingsthymnus „Veni Creator Spiritus“ sowie den österlichen Hymnus „Lumen de Lumine“ einen klangprächtigen Rahmen für die bereits erwähnten Marien-Antiphone „Salve Regina“ (Jahreskreis), „Regina coeli“ (Osterzeit) und „Ave Regina coelorum“ (Fastenzeit).

Mit einer höchst gelungenen Mischung aus tiefer künstlerischer Inspiration und musikalischer Genauigkeit nahm Hans-Martin Limberg die Zuhörer mit auf eine Reise durch die modale Klangwelt dieser ältesten Kirchengesänge – intensive Meditationen, die den Kern der leisen Klänge ausloteten, wechselten sich mit farbigen Klangkaskaden in Toccaten und Fantasien, die die enorme Kraft der Seifert-Orgel in St. Viktor voll zur Geltung brachten.

Wer die musikalischen Wurzeln und Inspirationen von Hans-Martin Limberg „heraushören“ wollte, konnte neben der logischen Urquelle der Gregorianik viel von dem spät-expressionistischen Tonmaterial der französischen Orgelkomponisten des 20. Jahrhunderts entdecken, aber auch post-minimalistisches, wie man es von Philipp Glass und mehr noch John Adams kennt, und logischerweise auch Jazz-Harmonien – steht doch der Jazz der alten Kirchenmusik durch seinen intensiven Gebrauch von Modi und Skalen der Kirchentonarten deutlich näher, als man bei der klischeehaften Vorstellung von Saxophon-Gedudel in verrauchten Clubs meinen möchte.

Vor allem aber konnte man hören, dass die Limbergschen Inspirationen nicht zu bloßem Abkupfern aufgegriffener Ideen führen, sondern zu einer ureigenen kraftvollen Tonsprache, die beweist, dass sich musikalisch tiefe Ernsthaftigkeit und fröhliche Leichtigkeit in keiner Weise ausschließen. Entsprechend beseelt und inspiriert gingen die Zuhörer denn auch nach Hause.

Christoph Falley, Dülmener Zeitung, 23.10.2012